Definition
Surrealismus (franz. Über-Wirklichkeit) ist kein Stil und auch keine Kunstrichtung, sondern beschreibt eine antibürgerliche Lebenshaltung bzw. eine Kunst, die sich dem Traum (Albtraum), dem Fantastischen, dem Irrationalen, der Erotik, dem Tabubruch bewusst öffnet, um der Barbarei des Ersten Weltkriegs neue Sichtweisen entgegenzuhalten. Mit Kunst und Literatur sollten das rationale Weltbild infrage gestellt sowie überhaupt eine revolutionäre, freie und neue Kunst geschaffen werden.
„schön wie das zufällige Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch“ (Lautréamont, Die Gesänge des Maldoror, 6. Gesang)
In Anschluss an die Traumdeutung und die Theorie des Unbewussten in den Schriften Sigmunds Freuds wollten die Surrealisten den unbewussten Zuständen menschlichen Lebens einen fundamental neuen Stellenwert verleihen. Sie positionierten sich und ihre Kunst im Gegensatz zu Materialismus, Positivismus, Rationalismus und die Herrschaft der Logik, repräsentiert durch Staat, Kirche, bürgerlicher Familie, Sexualmoral und Untertanengeist. Assoziationen, künstlerische Zusammenarbeit und neuartige Techniken der „Nichtkomposition“ wie das Aufschreiben von Traumfetzen, Hypnose, automatisches Schreiben und Zeichnen sollten eine Auflösung der Grenzen bürgerlicher Moral- und Wertvorstellungen aber auch des traditionellen Schönheitsbegriffs als Grundlage der Kunst bezwecken. Wichtige Vorläufer sahen die Künstler des Surrealismus sowohl in der Kunst der Frührenaissance und dem Expressionismus, der Kunst des Dadaismus wie auch in außereuropäischen Kunstwerken (Afrika, Ozeanien und Neukaledonien). Künstlerinnen und Künstler arbeiteten mit Mythen, dem Unbewussten, Traum, Zufall, Metamorphose; sie nutzten wissenschaftliche und literarische Quellen (Sigmund Freud und Marquis de Sade). Zu ihren bevorzugten Gattungen zählten Malerei, Assemblage, Materialexperimente, inszenierte Fotografie, wobei auch medienübergreifende Arbeiten geschaffen wurden.
„Der Surrealismus ist keine poetische Form. Er ist ein Aufschrei des Geistes, der zu sich selbst zurückkehrt“1 (Antonin Artaud, Anfang 1925)
Zur Gründunggeschichte des Pariser Surrealismus gehören eine Handvoll Literaten, einige Maler und ein am 15. Oktober 1924 publiziertes, erstes Manifest. Das von André Breton (Tinchebray 1896–1966 Paris) verfasste Manifest, zählt heute neben seiner zweiten, aktualisierten Version von 1929, den von den Surrealisten herausgegebenen Zeitschriften wie den von ihnen veranstalteten Ausstellung zu den wichtigsten Quellen der avantgardistisch-revolutionären Ziele der Gruppe.
Zur Gründunggeschichte des Pariser Surrealismus gehören eine Handvoll Literaten, einige Maler und ein am 15. Oktober 1924 publiziertes, erstes Manifest. Das von André Breton (Tinchebray 1896–1966 Paris) verfasste Manifest, zählt heute neben seiner zweiten, aktualisierten Version von 1929, den von den Surrealisten herausgegebenen Zeitschriften wie den von ihnen veranstalteten Ausstellung zu den wichtigsten Quellen der avantgardistisch-revolutionären Ziele der Gruppe
Die Gründungsmitglieder des Surrealismus wurden nahezu alle in den 1890er Jahren geboren, während die Surrealistinnen – oft als Freundinnen der Protagonisten – ca. 10 bis 20 Jahre jünger waren und um 1930 zur Gruppe dazustießen. Nachdem in den 1920er Jahren noch Literatur und Poesie im Zentrum surrealistischer Theorie gestanden hatten, verlagerte sich die Produktion in den 1930er Jahren auf die bildende Kunst, und durch die Ausstellungen, die internationale Vernetzung und nicht zuletzt das Exil während des Zweiten Weltkriegs verbreiteten sich die Ideen auch auf andere Kontinente. Die Literaten der Gruppe stammten hauptsächlich aus Frankreich, die Bildenden Künstlerinnen und Künstler waren hingegen international und kamen aus Frankreich, Deutschland, England, Belgien, Spanien, Österreich, der Tschechoslowakei, der Schweiz, Skandinavien, später Mexiko und den USA nach Paris, um sich in der Seine-Metropole ausbilden zu lassen bzw. die jüngsten Impulse aufzunehmen.
Chronologie des Surrealismus
Die früheste gemeinsame Publikation der späteren Surrealistenkerngruppe Louis Aragon, André Breton, Jean Cocteau, Pierre Reverdy und Philippe Soupault erschein bereits im Januar 1916 in der Avantgardezeitschrift SIC. Mitten im Ersten Weltkrieg versammelte sich eine Gruppe von Literaten, um dem Irrsinn der Welt eine Über-Wirklichkeit entgegenzuhalten. Die Schriftsteller besuchten einander häufig, Apollinaire hatte Gemälde von Picasso und Georges Braque aber auch Plastiken aus Afrika und Ozeanien in seiner Wohnung. Von März bis April 1918 leisteten Aragon und Breton Dienst in der Abteilung für Geisteskranke im Hôpital d’instruction des armées du Val-de-Grâce und lasen die Werke des Comte de Lautréamont. Erst nach Ende des Kriegs kamen die Künstler wieder in Paris zusammen: Breton und Paul Eluard lernten einander im Mai kennen. Duchamp zog im Juli 1919 von Amerika nach Paris zurück, er lernte Breton im Frühsommer 1921 kennen. Francis Picabias Werke wurden beim Herbstsalon (1.11.-10.12.) unter der Treppe aufgehängt, worauf die Künstler einen Skandal entfachten.
Mit „Les champs magnétiques“ veröffentlichten Breton und Philippe Soupault 1920 den ersten Sammelband des Surrealismus, da sie darin konsequent die Technik des Écriture automatique anwandten. Im folgenden Jahr übersiedelten André Masson und Joan Miró nach Paris und bezogen ein Atelier in der Rue Blomet 45. Aus dieser Ateliernachbarschaft entwickelte sich eine Keimzelle des malerischen Surrealismus. Als der wichtigste frühe Surrealist gilt aber Max Ernst, der 1921 für eine Ausstellung in der Galerie Au Sans Pareil (3.5.-3.6.1921) nach Paris kam und ab Ende 1922 blieb.
Erstmals kam die Frage auf, welche gesellschaftliche Verantwortung Kunst und die Künstler hätten, womit sich die Surrealisten von den Dadaisten abspalteten und sogar gegen diese polemisierten. Als „Gründungsjahr“ für die surrealistische Malerei kann damit 1923 bezeichnet werden, da nach der konfliktreichen Abspaltung von den Dadaisten, Künstler wie Max Ernst und André Masson begannen, eine eigene Bildsprache zu entwickeln. Teils ist diese durch automatische Äußerungen bestimmt, die Zeichnung (à la Raffael!) steht im Vordergrund, die Inhalte waren dem Unbewussten, dem Traumzustand, der Poesie, dem Absurden, dem Gefährlichen, dem Geheimnisvollen gewidmet. Die Entwicklung eines gemeinsamen Stils - im Sinne einer Recherche nach malerischen Möglichkeiten wie sie mit persönlichen Abstrichen im Impressionismus, Kubismus (Zerstörung der Form) und der Abstrakten Kunst erprobt wurde - ist im Surrealismus kein Ziel. Stattdessen geht es den Künstlern um Verformungen des Alltäglichen, Erfindungen phantastischer Momente, Metamorphosen, Zusammenstellungen beziehungsloser Gegenstände, die Darstellung von Sex und Gewalt.
Écriture automatique und Cadavres exquis
Die von den Surrealisten schon früh propagierte Technik des automatischen Schreibens [franz. écriture automatique], Zeichnens und Malens [franz. cadavres exquis, dt. köstliche Leichen] – in einem quasi halbbewussten, trancehaften Zustand – wurde zunächst in den frühen 1920er Jahren von André Masson praktiziert. Das Spiel mit dem Zufall, der Überraschung, dem Unbewussten waren ein zentrales Ziel der Surrealisten, weshalb sie sich früh für das autmatische Schreiben begeisterten. Eines Nachts kam, so Simone Kahn2, beim sprachlichen Aneinanderfügen von zufälligen Worten in der Gruppe der Satz „Der köstliche Leichnam wird den neuen Wein trinken“ heraus. Die Spielenden hatten die Idee, die Technik auch auf Bilder anzuwenden. Dabei wurde Papier gefaltet, und jeder Teilnehmer führte eine Zeichnung fort, ohne zu sehen, was die Vorgänger dargestellt hatten. Der psychische Prozess im Betrachter, der durch das Aufeinandertreffen widersprüchlicher Gegenstände innerlich in Gang gesetzt werden sollte, stand im Vordergrund surrealistischer Theorie und wurde mit solchen Text- oder Bildarbeiten initiiert. Alle arbeiteten im kollektiven Prozess zusammen, was die demokratische (um nicht zu sagen sozialistische), antihierarchische Grundhaltung der Surrealistinnen und Surrealisten gut widerspiegelt. demokratischen Form.
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